Meine Nachbarin, Tante Lyuba, wohnt gegenüber. Ich besuche sie oft: entweder auf einen Tee, um Milch für sie zu holen oder um Medikamente abzuholen. Ich würde nicht sagen, dass sie völlig einsam ist – sie hat zwar eine Tochter, aber die ist vor langer Zeit verheiratet und ins Ausland gezogen. Sie telefoniert mit ihrer Mutter über Skype und schickt ihr ab und zu Pakete. Bei ihrem letzten Besuch vor drei Jahren schenkte sie Tante Lyuba ein Kätzchen, damit diese nicht so einsam ist. Es war ein sehr gelungenes Geschenk; meine Nachbarin liebt ihre geliebte Britisch Kurzhaar, Musa, über alles. Das Kätzchen passt perfekt zu ihr: ruhig, anhänglich und wunderschön.
Musya saß oft neben ihrer Pflegerin am Fenster und beobachtete alles, was im Garten vor sich ging. Es war ihre einzige Verbindung zur Außenwelt. Wann immer ich Tante Lyuba Geschenke brachte, hatte ich auch immer ein Leckerli für die Katze dabei. Und aus Dankbarkeit kletterte sie auf meinen Schoß, schnurrte und stupste mich an. Nach ein paar Minuten sprang sie dann herunter und kletterte in die Arme der Nachbarin. Kurz gesagt, sie war das perfekte, treue und tapfere Haustier.
Eines Nachts rief mich Tante Lyuba an und unterdrückte kaum ihre Schluchzer. Ihre Katze Musya lag im Sterben – hysterisch schreiend auf dem Boden. Sie musste von dem Fisch vergiftet worden sein, den ich ihr gebracht hatte. Mir fiel ein, dass es in der Nähe eine 24-Stunden-Tierklinik gab. Also packte ich die schluchzende Tante Lyuba, sie die schreiende Musya, und wir rasten zum Tierarzt. „Doktor, meine Katze stirbt, helfen Sie mir!“, stöhnte die Nachbarin, als wir in der Klinik ankamen. Der Arzt warf einen kurzen Blick auf das Tier, schickte uns hinaus und sagte, wir sollten warten. Etwas beruhigt, entschuldigte sich die Nachbarin, mich mitten in der Nacht gestört zu haben, und schickte mich nach Hause. Sie versprach, mir am nächsten Morgen zu erzählen, wie alles ausgegangen war.
Früh am Morgen, als ich immer noch keinen Anruf von meiner Nachbarin erhalten hatte, beschloss ich, selbst nach ihr zu sehen. Die Frau öffnete die Tür. Sie weinte nicht mehr. Doch aus irgendeinem Grund kam Musya auch nicht herausgelaufen, um mich zu begrüßen. Ich befürchtete das Schlimmste und sah die Nachbarin fragend an, anstatt „Hallo“ zu sagen. Sie bedeutete mir, hereinzukommen, und führte mich ins Zimmer. In einem Pappkarton neben dem Bett, auf einem Stapel Handtücher, lag Musya. Lebendig! Und neben ihr wuselten zwei neugeborene Kätzchen herum. Ich atmete erleichtert auf. Tante Lyuba wischte sich eine Träne weg und sagte: „Wie sehr sie mich erschreckt hat! Ich fragte mich, was ich nur ohne meine Katze tun würde! Und sie, die kleine Räuberin, war einfach so! Sie wollte mich glücklich machen!“ Die Frau erzählte mir, dass der Tierarzt sie eine halbe Stunde nach meinem Besuch in der Klinik in sein Sprechzimmer mitgenommen und ihr den „Grund“ gezeigt hatte, warum das Haustier seine Besitzerin so erschreckt hatte.
Es stellte sich heraus, dass Musya gar keine pummelige, faule Stubenhockerin war, sondern eine ziemlich schelmische Flirterin, die tagsüber treu zu Füßen ihres Frauchens saß und nachts heimlich durchs Fenster auf Streifzug ging. Frühmorgens kehrte sie dann zurück, während ihr Frauchen noch schlief. Der Grund für die plötzliche Gewichtszunahme des Tieres war nicht etwa ein bewegungsarmer Lebensstil, sondern eine Trächtigkeit. Und es gab keine Vergiftung; Musya hatte einfach beschlossen, Junge zu bekommen. Jetzt hat Tante Lyuba eine ganze Katzenfamilie in ihrer Wohnung – mit ihnen wird ihr bestimmt nie langweilig.



